Fès – eine komplizierte Stadt
Wieder mal ein Disclaimer:
Da meine letzten Tage nicht sonderlich spannend waren, ich die Stadt Fès aber total interessant fand, geht dieser Artikel fast nur über die Stadt und wenig über mich. Der nächste Artikel über meine letzten zwei Tage in Chefchaouen, die wieder besser waren, ist aber schon in Arbeit! Die Fotos in diesem Artikel sind dieses mal übrigens nicht zusammenhängend mit dem Text, aber so sieht man wenigstens trotzdem ein paar Eindrücke der Stadt.
Nachdem ich meinen letzten Beitrag im Zug nach Fès beendet hatte, war ich die letzten drei Tage dort. Und ich muss sagen, es war deutlich anders als erwartet. Bevor ich dort war, wurde mir schon mitgeteilt, dass Fès eine der eher unangenehmeren Städte in Marokko ist, aber zeitgleich auch wirklich cool. Die Kriminalitätsrate dort ist etwas höher und es laut den Berichten ist sei es wohl sehr einfach sich in der Innenstadt, also der Medina, zu verlaufen. Mit diesem Wissen bin ich also in die Stadt gefahren, habe auch schnell mein Hostel gefunden und die erste Nacht ganz entspannt dort verbracht. Erst als ich am nächsten Morgen in die Medina reingelaufen bin habe ich gemerkt, wie sehr ich die Stadt unterschätzt habe.

Fès gilt als UNESCO Weltkulturerbe. Gegründet wurde die Stadt um 800 rum, weswegen der Hauptgedanke bei der Stadtplanung damals war, die Stadt vor Feinden zu schützen. Die Art, wie sie das umgesetzt haben, ist wirklich beeindruckend. Mit knapp 9000 Straßen ist Fès ein riesiges Labyrinth aus schmalen Gassen, engen Durchgängen, Torbögen und vor allem Sackgassen. Die Medina, auch als Fès-el-Bali bezeichnet, so ist der Name des Viertels, ist die größte Autofreie Zone der Welt. Nicht etwa, weil Autos dort verboten wurden, sondern einfach weil sie nicht durch die Gassen passen würden. Auf den Hauptrouten sind überall Märkte, Kiosks und kleine Geschäfte, doch entfernt man sich auch nur kurz davon wird es schnell zu einem reinen Wohnviertel. Heute ist es also einfach nur ein schwer zu navigierender Markt, doch damals hatten sich die Architekten der Stadt ein System überlegt, welches der Stadt auch den Namen „City of Death – Stadt des Todes“ verliehen hat. Die Gassen, welche sich alle paar Meter neu abzweigten, gehen fast nie einfach geradeaus. Entweder kurven sie sich in eine Richtung, oder haben regelrechte Ecken in sich, obwohl die Straße danach weiter in die gleiche Richtung geht. Die Gassen sind sehr auffällig in zwei Kategorien aufgeteilt – manche von ihnen sehen sehr einladend aus, denn sie sind offen, breit und haben einen Torbogen am Beginn. Dieser Torbogen sagt aus, dass in der Gasse irgendetwas besonderes ist – zum Beispiel eine Moschee oder dass dort eine reiche Familie lebt. Die andere Kategorie sind die eher weniger einladenden Gassen. Diese sind oft überdacht, eng, niedrig und dunkel. Das Problem daran ist, dass beide Gassen ans gewünschte Ziel führen, genauso beide aber auch in einer Sackgasse enden können. Heutzutage sind dafür Schilder angebracht. Die Straßenschilder, welche den Straßennamen auf allen drei hier gesprochenen Sprachen halten (Arabisch, Berber und Französisch), sind entweder viereckig und symbolisieren somit den Ausgang aus einer normalen Gasse, oder sie sind sechseckig und symbolisieren den Anfang einer Sackgasse. Wenn man das einmal weiß wird das navigieren gleich viel einfacher, nur muss man das auch heute erst einmal herausfinden. Früher wurden die Feinde, welche oft auf Pferden unterwegs waren, absichtlich in die engen und kleinen Gassen gelockt, damit sie von der Gruppe abgespalten werden konnten und einfacher zu besiegen waren. Auch wurden manche Sackgassen einfach zugeschlossen, nachdem die Feinde in diese reingelaufen waren, um diese dort verhungern zu lassen.

Eine weitere spannende Sache, die man in dieser Stadt super erkennen konnte, waren die sehr traditionell gebauten Häuser. Da diese seit Bau nie neu errichtet, sondern nur restauriert wurden, ist alles interessante noch gut zu erkennen. Zum einen gehören die äußeren Wände der Häuser nicht den Einwohnern selbst sondern der Stadt. Daher sind fast alle Wände, völlig unabhängig von der (meist sehr teuren) Inneneinrichtung, sehr marode und bröckelig. Gebaut wurden sie aus Ziegeln und Lehm und durch die Zeit sind mittlerweile schon über 400 Häuser eingestürzt, was viele Todesopfer in der Stadt gefordert hat.
Jedes Haus, in dem eine Familie lebt, hat zwei Türen. Die eine ist die Haupttür, welche von der Frau als Eingang genutzt wurde. Die zweite wird „husband door – Ehemanntür“ genannt, denn durch diese kam der Mann jeden Tag nach der Arbeit nach Hause. Der Grund dafür ist genauso simpel wie auch unvorstellbar. Während der Mann auf Arbeit war, trafen sich die Frauen oft Zuhause zum nähen, Teppiche machen oder Tee trinken. In einem geschützten Umfeld nur aus Frauen war es den Ehefrauen gestattet, das Kopftuch abzunehmen und sich zu zeigen. Kam nun der Mann nach Hause, durfte nicht mal die Chance bestehen, dass er eine andere Frau als seine eigene auch nur zu Gesicht bekam. So führte die Tür für den Ehemann nicht durch den Hauptbereich des Hauses, sondern gleich zu seinem Schlafzimmer, wo er dann wartete, bis die anderen Frauen gegangen waren. Grundlegend galt, jeder Mann, der nicht der eigene Ehemann ist, aber theoretisch die Frau heiraten könnte, ist nicht erlaubt sie zu sehen. Alles was erlaubt war in der Kleidung der Frauen, war ein kleiner Schlitz für die Augen. Das hieß, der Bruder der Frau durfte auch den Haupteingang benutzen, da dieser sie sowieso nicht heiraten könnte. Der Bruder des Ehemanns jedoch musste draußen warten, denn andere heiratsfähige Männer waren gar nicht im Haus erlaubt. An der Haupttür für die Frau waren und sind auch heute noch zwei Ringe zum anklopfen installiert, welche unterschiedliche Geräusche machten. Der eine war für weiblichen Besuch, damit die Frau die an die Tür ging, wusste, dass sie sich nicht vermummen musste. Der andere war zum Beispiel für Boten oder andere Männer, die mit der Frau sprechen wollte. So konnte sie sich entweder erst anziehen, bevor sie die Tür öffnete, oder ein wenig warten bis der Bote weg war, um die Lieferung ins Haus zu bringen.
Eine weitere Eigenschaft in der Architektur dieser Häuser waren die Fenster. Bist du derjenige, der sein Haus zuerst baut, hast du Glück, denn du darfst dir aussuchen wo du deine Fenster platzierst. Möchtest du dein Haus neben einem anderen bauen, musst du dafür sorgen, dass sich keine der Fenster gegenüber liegen. Ansonsten könnte ja einer der Männer in das Nachbarhaus gucken und die Frau sehen. Außerdem sind alle Fenster, die in Haus selbst zeigen und nicht nur in eine Abstellkammer, deutlich über Augenhöhe. So kann auch niemand der Fußgänger einen Blick auf das Haus und so die Frau werfen. Für die Frau wurden häufig eigene Fenster gebaut, welche durch sehr kleine Löcher ihr erlaubten, nach draußen auf die Straße zu gucken, ohne selbst gesehen zu werden.

Die Architektur der Stadt ist also völlig anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Und da auch Google Maps seine Schwierigkeiten damit hat, die Gassen ordentlich zu erkennen, war die Navigation für mich nicht gerade einfach und ich habe mich bereits an meinem ersten Tag gnadenlos verlaufen. Was es dann nicht angenehmer macht, sind die Menschen die heute in Fès wohnen. Viele von ihnen sind sympathisch und wollen nur ihre Arbeit erledigen, aber vor allem junge Männer versuchen sehr gerne, dich dazu zu kriegen, ihnen Geld zu geben. Siehst du auch nur für einen Moment so aus, als wüsstest du nicht wo dein Weg ist, spricht dich sofort ein junger Mann an und fragt dich wo du hinwillst. Nimmst du die Hilfe an führt er dich, meist über Umwege, zu deinem Ziel um dann Geld von dir zu verlangen. Und ein einfaches „Danke aber Nein“ reicht leider nie aus, um diese Menschen loszuwerden. So war mein erster Tag geprägt von einem Fake-Guide, der mit mir mit lief und mir Dinge über die Stadt erzählte, obwohl ich ihm oft genug gesagt habe, dass ich ihn weder brauche noch möchte und auch kein Geld habe. Nach guten 15 Minuten Diskussion ist er irgendwann genervt gegangen und ich konnte meinen Weg zum Hostel fortsetzen. Nur dass ich auf diesem Weg noch etwa fünf mal angesprochen wurde, von Menschen, die mich führen wollten.

Nach dem entsprechend anstrengenden Tag, ging ich am zweiten Tag auf eine Walking Tour, auf welcher ich auch die ganzen Informationen über die Stadt gelernt habe. Das war deutlich angenehmer und entspannter. In meiner Zeit im Hostel habe ich auch wieder mal Menschen kennengelernt, einen aus England, eine aus Australien und einen weiteren Deutschen. Mit der Australierin war ich auch auf besagter Walking Tour und bin danach noch eine Weile weiter mit ihr durch die Stadt gezogen. Das hat die Navigation und auch die generelle Erfahrung deutlich angenehmer gestaltet.
Am nächsten Tag ging es wieder raus aus Fès und in Richtung Chefchaouen, dazu aber mehr im nächsten Beitrag.
Bis dahin!
Was für eine irre Stadt! Aus unserem beschaulichen Kiel heraus kaum vorstellbar… Durch Deine Reise lerne auch ich unglaublich viel. Obwohl ich schon sehr gespannt auf Deine nächsten Berichte mit noch mehr über Dich bin, war dieser Artikel total interessant und eindrücklich. Danke Dir!