Northland – Ein Blick in die Vergangenheit

Nach unseren Tagen in Whangārei und Whananaki sind wir noch ein Stück weiter nach Norden gefahren. So sind wir am 26.06. in Russell gelandet und haben einen Spaziergang an den Klippen gemacht. Dort saßen wir ein bisschen ganz oben auf einem Hügel und haben dabei zugesehen, wie das Meer tief unter uns gegen die Felsen donnert. Solche Orte gibt es in Neuseeland immer wieder und ich liebe jeden einzelnen davon!

Wanderweg an den Klippen

Dann sind wir mit unserem Auto das erst Mal auf eine Fähre gefahren, die uns von Okiato nach Opua gebracht hat. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, an der Stelle ist die Bucht wirklich schmal, aber es hat trotzdem viel Spaß gemacht. So oft bin ich nicht mit einem Auto auf einer Fähre!

Abends sind wir auf dem coolsten Stellplatz angekommen, den ich bisher gesehen habe, denn er stand direkt neben einer Bücherei/Galerie, die im Stil von Hundertwasser gebaut wurde. Sie ist Teil des Hundertwasser-Gedenk-Parks, der in der Mitte von Kawakawa steht. Das Highlight ist jedoch etwas anderes: direkt neben dem großen Gebäude mit den geschwungenen Wänden und bunten Fenstern sind öffentliche Toiletten, die von Hundertwasser selbst designt wurden. Die Klos sind ein Wahrzeichen der Stadt, ein beliebter Foto-Spot für Touristen und international bekannt. Und direkt daneben war unser Stellplatz, wir konnten das Gelände also in aller Ruhe betrachten!

Bücherei im Hundertwasser-Stil

Den folgenden Tag haben wir dann fast ausschließlich in besagter Bücherei verbracht, denn dort haben wir all unsere technischen Geräte aufgeladen. Wenn wir viel Auto fahren, reicht der Strom, den wir während der Fahrt bekommen, aber zwischendurch braucht es auch mal solche Tage. Dafür war die Hundertwasser-Bücherei perfekt geeignet, denn sie war gemütlich, recht groß (aber nicht riesig) und hatte genug Steckdosen, um unsere Powerbanks zu füllen. Auch in einem so tollen Land wie hier kann man schließlich nicht jeden Tag nur Dinge erleben und entdecken, manchmal muss man auch – wortwörtlich – seine Batterien aufladen.

Am 28.06. haben wir die dann wichtigste historische Städte Neuseelands besucht: Die Waitangi Treaty Grounds. An diesem Ort wurde vor fast 200 Jahren (im Jahr 1840) am 04. Februar das älteste Verfassungsdokument Neuseelands unterschrieben. Von wem und welche Probleme es noch heute damit gibt, haben wir an diesem Tag erfahren. Auf dem historischen Gelände stehen heute zwei Museen, mehrere alte Häuser und andere Bauwerke, für deren Erhaltung man natürlich Eintritt zahlen muss.

Zuerst haben wir uns über den Preis gewundert, der selbst mit den Rabatten für WHV-Reisende (das steht für das Working Holiday Visum, mit dem ich in Neuseeland bin) und die Nebensaison noch relativ hoch für ein Museum war. Am Ende des Tages sollte uns klar werden, dass der Preis mehr als angemessen ist.

Nachdem wir unsere Tickets bezahlt haben, sollten wir auf einem überdachtem Weg neben dem Ticket-Haus warten. Nach und nach haben sich immer mehr Menschen zu uns gesellt, bis wir eine Gruppe von etwa zehn Menschen auf unseren Tourguide warteten, die nur wenige Minuten später auftauchte. Ausgestattet mit Kopfhörern, über die wir live unseren Guide hören konnten, wurden wir dann gemütlich über das große Gelände geführt.

Dabei wurde uns eine ganze Menge erzählt, wovon ich leider natürlich nicht alles erinnert habe, obwohl die Siedlungsgeschichte Neuseelands wirklich spannend ist! Die Grundlagen waren aber ungefähr so:

Die Besiedlung des Landes begann erst vor etwa 800 Jahren, deutlich später als auf den meisten anderen Regionen dieser Erde! Die ersten Siedler kamen aus Polynesien und reisten mit großen Kanus (auch genannt Wakas). So legten sie die lange Strecke über das Meer zurück, bis sie Aotearoa erreichten. Als Entdecker Neuseelands gilt der Seefahrer Kupe, der vor etwa 1.000 Jahren die ersten Schritte auf der Westseite der Northlands gemacht haben soll. Der genaue Ankunftsort ist zwar bekannt, anders sieht es allerdings mit dem genauen Herkunftsort aus. Heute wird dieser mystische Ort von den Māori als Hawaiki bezeichnet und er hat eine große kulturelle Bedeutung, obwohl man wohl nie herausfinden wird, von wo aus Polynesien der Siedler genau kam.

Viele Jahrhunderte lebten die Menschen in Hapūs (Clans) und übergeordneten Iwis (Stämmen) und erschlossen sich so nach und nach das gesamte Gebiet der beiden Inseln. Sie hatten also trotz der gemeinsamen Herkunft nicht immer viel gemeinsam und in den vielen Jahren gab es auch mehrere kriegerische Konflikte zwischen gegnerischen Stämmen.

Erst mit der Ankunft der Europäer im 17. Jahrhundert begannen sich viele der unterschiedlichen Iwis sich als Einheit zu fühlen. Erst durch diesen Kulturwandel entwickelte sich auch der Begriff „Māori“ was einfach so viel wie „normal“ bedeutet, also die normalen Bewohner des Landes im Gegensatz zu den „Pākehā“, wie die ersten europäischen Siedler genannt wurden.

Der erste Europäer, der die beiden Inseln betrat war der Niederländer Abel Tasman, der das Land 1642 „entdeckte“. Erst hundert Jahre später, im Jahr 1769, wurde es wieder interessant, als der britische Kapitän James Cook die Inseln erreichte. Erst durch ihn begann die Kolonisierung durch die Briten und damit auch der Grundstein für den Vertrag von Waitangi.

Dieser wurde dann rund 100 Jahre später zwischen einem Vertreter der Englischen Krone und 45 Anführern von den nördlichen Māori-Stämmen unterschrieben. Erstere sahen in dem Vertrag eine Möglichkeit Macht über das Land zu erlangen und ihre Position zu festigen, Zweitere erhofften sich von dem Vertrag Schutz vor anderen Kolonialmächten ohne die eigene Souveränität aufgeben zu müssen.

Ein großes Problem beim Vertrag war die Tatsache, dass er in zwei Verschiedenen Sprachen verfasst wurde – Englisch und Te Reo – und dass es in der Übersetzung für die Chefs der Stämme ein paar kleine, aber sehr wichtige Übersetzungsfehler gab. Diese Unstimmigkeiten, die vor allem die Ländereien und deren Besitzer betreffen, sind teilweise bis heute noch ungeklärt und werden von einem extra dafür aufgebauten Gremium vermittelt.

All dies (und natürlich noch vieles mehr) hat unser Guide uns erzählt, während wir langsam über das Gelände gelaufen sind. Sie hat uns von verschiedenen Sagen, Mythen und kleinen Anekdoten aus der Geschichte der Māori berichtet und natürlich all unsere Fragen beantwortet. Obwohl die ganze Tour auf Englisch war und ich durch die nicht immer gute Verbindung nicht alles verstehen konnte, war dieser Rundgang super interessant, stellenweise witzig und einfach richtig gut gemacht!

Das erste Highlight war ein 35 Meter langes Waka – also Kanu – und damit das größte der Welt. Das Boot wurde 1940 anlässlich des 100 Jährigen Jubiläums des Vertrags von verschiedenen Iwis als zeremonielles Waka aus drei riesigen Bäumen gebaut. Normalerweise wird ein Waka direkt aus einem einzigen Baumstamm geschnitzt, was man hier dreimal so lang nachempfunden hat. Einer der ungenutzten Baumstümpfe stand ebenfalls auf dem großen Gelände und hatte einen Durchmesser von mehreren Metern! An der rot-schwarz gestrichenen Außenwand befanden sich viele Schnitzereien von wichtigen historischen Persönlichkeiten verschiedener Iwis, die von kunstvollen Mustern umrahmt wurden. Noch heute wird das Gefährt jedes Jahr von einer 80-köpfigen Crew zum Gedenken des Vertrags zu Wasser gelassen, das muss total beeindruckend sein!

Das größte Waka der Welt

Das zweite Highlight war das Waitangi Treaty House, in dem der Vertrag vorbereitet, übersetzt und schlussendlich auch unterschrieben wurde. Dort hatten wir alle Zeit uns umzusehen und im Haus herumzulaufen. Die Zeit hat leider nicht gereicht, um sich all die verschiedenen Infotafeln durchzulesen, aber in so einem historisch bedeutsamen Gebäude zu sein hat sich auch so schon sehr besonders angefühlt. In den Räumlichkeiten dort haben wir die letzten Minuten abgewartet, bis der letzte Punkt der Tour anstand. 

Ebenfalls zum 100-Jährigen Jubiläum wurde ein traditionell geschnitztes Māori-Versammlungshaus (Meeting House) erbaut. Es sollte die Einheit der Iwis (Stämme) und die Verbundenheit zur britischen Krone symbolisieren. An eben diesem Meeting House wurde unsere kleine Tour-Gruppe, wir mussten uns dafür in eine Reihe nebeneinander stellen, von mehreren Māori in traditioneller Kleidung begrüßt. Als allererstes mussten wir für die folgende halbe Stunde einen Chief, also eine Art Stammes-/Gruppenführer bestimmen. Nach ein paar unangenehmen Sekunden, in denen sich niemand so wirklich melden wollte, hat Thies sich den auffordernden Blicken von einer älteren Dame zu seiner Linken und mir zu seiner Rechten gebeugt und hat sich bereit erklärt die Verantwortung für unsere Gruppe zu übernehmen. Zu dem Zeitpunkt wusste er ja auch noch nicht, was auf ihn zukommen würde…

Nachdem diese Formalitäten geklärt waren, mussten wir unsere friedlichen Absichten beweisen. Die Gruppe Māori hat sich auf die Veranda des Meeting Houses zurück gezogen. Ein Mann hat sich aus der Gruppe gelöst und ist – laut auf „Te Reo Māori“ rufend und singend – mit langsamen Schritten auf uns zugekommen. Genauer gesagt ist er genau auf Thies zugegangen. Dabei hat er die ganze Zeit einen Speer in der einen Hand umhergedreht und Thies so bedroht. Im Nachhinein hat Thies erzählt, dass der Mann ihn dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen hat und ihn die ganze Zeit durchdringend angestarrt hat – ein bisschen beängstigend! Und genau das sollte das Verhalten auch bewirken. In der anderen Hand hielt er einen kleinen Zweig, den er ein paar Meter vor unserem Chief Thies auf den Boden gelegt hat, wobei er mit dem Speer auf uns zeigte und den Blickkontakt zu Thies immer noch nicht unterbrach. Dann sollte Thies nach vorne kommen und den Zweig aufheben, wobei er den Kopf gesenkt hat. Rückwärts gehend ist unser „Chief“ dann zu uns zurück gekommen, während der Māori ihm mit dem Speer hinterher ging und mehrmals nach ihm stach, was er zusätzlich noch mit lautem Rufen untermalte. Offenbar haben wir uns trotz der Drohungen als friedlich genug erwiesen, denn dann hat uns der Māori das erste Mal den Rücken zugewendet und uns damit in das Meeting House eingeladen.

Barfuß oder sockfuß sind wir dann hineingegangen und haben auf ein paar Holzbänken Platz genommen. Ich durfte dabei als Thies‘ Begleitung ganz vorne sitzen, wirklich praktisch! Thies selbst musste noch ein bisschen länger stehen und hat am Rand der kleinen Bühne auf seinen Auftritt gewartet. Zuerst wurden wir von einem anderen Mann, ebenfalls mit einem Speer ausgestattet, auf Te Reo und Englisch begrüßt. Anschließend musste Thies sich im Namen der gesamten Gruppe für die Einladung und die kommende Vorstellung bedanken, was er (trotz der verständlichen Aufregung) ziemlich gut gemacht hat. Dann durfte er sich endlich zu der restlichen Gruppe setzen und dem zusehen, was auf der Bühne passierte. Die sechs Māori haben gesungen, getanzt und sogar ein paar Übungsabfolgen mit den Speeren gezeigt. Dafür hat sich unser Chief ein letztes Mal auf die Bühne gestellt und hatte dabei nur eine Aufgabe – ganz still stehen. Dann wurden die Speere vor und hinter ihm auf verschiedensten Körperhöhen in die Luft gestochen und haben seinen Kopf, Rücken und Bauch dabei immer nur knapp verfehlt.

Inmitten des Gefechts

Am Ende dieser „Cultural Experience“ konnten wir nochmal ein paar Fragen stellen und Fotos machen. Die Lieder, Tänze und die vorherige Tour zusammen haben mir nochmal einen besseren Einblick in diese Kultur gegeben, von der ich bisher immer nur gelesen hatte. Eine wirklich gelungene Tour, die ich nur empfehlen kann, falls sich mal jemand in Neuseeland herumtreibt.

Dann war der Tag für uns aber noch längst nicht beendet! Nach einem kurzen Spaziergang über das große Gelände haben wir uns das ausführliche Kriegsmuseum angesehen. Dort geht es vor allem um die Kriegsbeteiligung Neuseelands am zweiten Weltkrieg mit einem besonderen Fokus auf dem 28. Battalion. Dieses bestand ausschließlich aus Māori Kriegern, die mit der freiwilligen Kriegsbeteiligung ihre Loyalität zur Krone ausdrücken wollten und dadurch auf die sehnlich erwünschte Gleichberechtigung hofften. Aber auch über die Kriege in Neuseeland und den ersten Weltkrieg gibt es Informationen, um die gefallenen Soldaten Neuseelands zu ehren und an die Grausamkeit eines jeden Kriegs zu erinnern. Besonders eindrücklich fanden wir beide einen Raum, in dem die Wände voll waren mit den Fotos und Namen der Soldaten. In der Mitte war ein Halbkreis aus Holzblöcken, auf denen unzählige Punkte waren. Jeder Punkt stand für einen Menschen und die Farben waren unterschiedlich, je nachdem ob die Person im ersten oder zweiten Weltkrieg getötet, an den Verletzungen gestorben war oder die Kriege überlebt hatte. Die Vielzahl an diesen kleinen Punkten zu sehen war unbegreiflich, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass hinter jedem dieser vielen Punkte ein ganzes Menschenleben stehen sollte. Außerdem gab es verschiedene Räume, wo man mehr zu dem Leben eines einzelnen Soldaten auf Bildschirmen erfahren konnte. Am Ende war mein Kopf so voll, dass ich mir nichts mehr merken konnte, aber das Gefühl, was mir dieses Museum vermittelt hat, nehme ich auch jetzt noch mit.

Für die Māori Ausstellung in dem zweiten Museum auf dem Gelände hatten wir beide kaum noch Gedankenkraft oder Platz im Kopf übrig. Trotzdem sind wir einmal durchgelaufen und haben uns die Ausstellungsstücke angesehen, haben aber nicht mehr allzu viel durchgelesen. Der Tag war einfach zu voll!

Mit brummenden Köpfen, aber sehr zufrieden, sind wir am späten Nachmittag wieder in unser Auto zurück gekehrt. Um die ganze denklastige Beschäftigung des Tages ein bisschen auszugleichen haben wir beschlossen noch einen kleinen Wanderweg entlang zu gehen. Er führte an einem Wasserfall entlang, durch einen Wald und durch ein Sumpfgebiet. Leider war der Weg 5km lang und wir hatten beide keine Lust noch im Dunkeln zurückzulaufen. Also habe ich Thies am Ende des Tracks abgesetzt, bin selbst mit dem Auto an den Anfang gefahren und habe den Weg dann entgegengesetzt zu Thies absolviert. In der Mitte haben wir eine Autoschlüssel-Übergabe gemacht und als ich dann wieder am Ende angekommen bin, hat Thies dort schon auf mich gewartet! So konnte ich noch laufen gehen, Thies hat einen Spaziergang gemacht und wir beide konnten den ganzen Weg bewundern. Natürlich ist es schöner die Wege gemeinsam zu gehen, aber wenn es nicht anderes geht ist es so auch ganz praktisch!

Mit diesem kleinen Ausflug zum Wasserfall haben wir einen ziemlich spannenden, informativen und einzigartigen Tag abgeschlossen. In den nächsten Tagen ging es für uns dann weiter nach Norden, bis an den nördlichsten Punkt Aotearoas!

Spaziergang bei Sonnenuntergang