Unser erstes Alpin-Crossing

Ihr lest richtig – wir haben uns am 20.09.25 an ein richtiges Alpin-Crossing gewagt. Sehr mittig in Neuseeland stehen ein paar Berge und mittendurch führt ein Wanderweg. Dieser Weg führt auf keinen einzigen Gipfel, geht dafür aber knapp 20 Kilometer und führt vorbei an schneebesetzten Bergen und bietet eine tolle Sicht auf den allseits bekannten „Schicksalsberg“ (Mount Ngauruhoe) aus Herr der Ringe! Auf den 19,4 Kilometern werden über 1000 Höhenmeter zurückgelegt, was den Trip zu einer perfekten Tageswanderung macht.

Nun muss man aber sagen, wir waren natürlich nicht gerade im Hochsommer dort. September ist in Neuseeland gerade an der Grenze zwischen Winter und Frühling, was nicht nur bedeutet dass das Wetter sehr wechselhaft ist, sondern auch dass die Temperaturen noch nicht ganz da angekommen sind, wo wir sie gerne hätten. Die Berge, die im Sommer also nur an den Spitzen schneebefallen sind, zeigten sich für uns vollständig mit Schnee bedeckt. Für einige Teile des Weges bestand eine mittelmäßige Lawinengefahr, mit einer Einstufung auf Gefahrenstufe Drei von maximal Fünf. Wie sich für uns herausgestellt hat, wäre es eine total sinnvolle Entscheidung gewesen, Steigeisen mitzunehmen, die wir uns unter die Schuhe hätten schnallen können, aber dazu sind wir nicht mehr gekommen. Wir standen für diese Wanderung nämlich etwas unter Zeitstress, aber um das zu verstehen, müssen wir erst zurück an den Anfang.

Total beruhigend!

Das Tongariro Crossing hatten Beeke und ich im Blick, seit wir in Neuseeland angekommen waren. Schon vor einigen Monaten meinte Beeke zu mir, sie würde Neuseeland nicht verlassen ohne nicht diese Wanderung gemacht zu haben. Klar war also – komme was wolle – wir müssen da hoch. Nachdem ich etwa eine Woche zuvor noch in Sydney war und wir daraufhin durch die Coromandel-Gegend gefahren sind, waren wir nun wieder ganz im Norden der Insel. Noch am 19.10.25 waren wir am Filmset „Hobbiton“, von dem der letzte Artikel auch handelt. Warum haben wir uns also dazu entschieden, am gleichen Tag noch fast vier Stunden zu fahren und am nächsten Morgen schon um 04:30 aufzustehen, um das Crossing zu machen?

So haben wir uns den „Morgen“ vor der Wanderung nicht vorgestellt!

Nun, das ganze hat zwei Gründe. Der erste, simplere Grund ist das Wetter. Wir hatten bereits zu Anfang unserer Zeit in Neuseeland jemanden getroffen, der schon bei dem Tongariro Crossing war. Als er dort war, war das Wetter aber so schlecht, dass er kaum etwas anderes als Schnee, Nebel und Wolken gesehen hat und am Ende sogar noch durch den Regen nass wurde. Um das zu vermeiden, haben wir uns dauernd Wetterberichte angesehen und den besten Tag ausgewählt, um die Berge zu erklimmen. Und das war nun leider genau an dem Tag nach unserem Besuch in Hobbiton. 

Der zweite Grund war aber noch ein Stück wichtiger als der Erste. Denn wie gesagt hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch Winter und damit auch die Nebensaison. In der Nebensaison haben wir zwar den Vorteil, dass viele Orte weniger besucht sind, aber den Nachteil, dass einige Aktivitäten nicht stattfinden. Eine davon war das Shuttle, das man normalerweise benötigen würde um über das Tongariro Crossing zu wandern. Der Wanderweg endet nämlich nicht dort, wo er anfängt, sondern geht einmal auf die andere Seite der Berge. Um von dem Start- zu dem Endpunkt zu kommen, muss man etwa eine halbe Stunde mit dem Auto fahren.

Jetzt besitzen Beeke und ich aber „nur“ ein Auto und leider nicht zwei. Wir konnten also nur zu dem Startpunkt selbst hinfahren, brauchten aber jemanden, der uns vom Endpunkt auch wieder abholt. Um zu vermeiden, ein eigenes Taxi mieten zu müssen, haben wir also in einer der WhatsApp Gruppen von Backpackern in Neuseeland gefragt, ob jemand Lust hat mit uns wandern zu gehen. Es würde dann so ablaufen, dass wir uns zusammen am Endpunkt der Wanderung treffen, gemeinsam in ein Auto steigen und zum Start fahren. So können wir nach der Wanderung zusammen in dem anderen Auto zurück zum Start fahren, und so wieder zum ersten Auto zu gelangen. Um dieses etwas komplizierte Hin- und Hergefahre abzustimmen, mussten wir uns mit anderen Menschen auf einen Tag abstimmen, woraufhin wir wieder beim 20. September gelandet sind. 

Nachdem wir mit verschiedensten Menschen geschrieben hatten, von denen leider schon einige fest zu – und danach wieder abgesagt hatten – haben wir aber doch jemanden gefunden: Tobi! Tobi ist auch Deutscher, war aber nicht allein. Mit ihm kam noch Clemente, ein Arbeitskollege aus Chile, den er in einer nahegelegenen Stadt kennengelernt hat. Und als wir uns am Morgen der Wanderung alle beim Endpunkt trafen, waren da plötzlich noch zwei Menschen dabei: Toby und Ollie, beides Neuseeländer aus Auckland. Und so wurden wir von unserem Plan, zu dritt zu wandern, plötzlich sechs Personen. Schnell hat sich herausgestellt, dass wir alle im gleichen Alter sind (auch wenn ich von allen vermutet hätte, sie wären älter). Ich war sogar nach Tobi der zweit-älteste, was eine absolute Besonderheit für mich ist! Zum Glück haben wir uns auch alle richtig gut verstanden und konnten uns beim Wandern in jeder Konstellation unterhalten. Vor allem Clemente war ein spannender Gesprächspartner, da er viel von seinem Heimatland erzählen konnte. Er hat damit mir noch einmal bestätigt, dass ich auch unbedingt noch einmal nach Chile muss. Nach seinen Erzählungen klingt die Natur dort einfach großartig.

Nachdem wir uns zu sechs in Tobis Van gequetscht hatten, ging die Fahrt zum Startpunkt auch direkt los. Ein großer Teil führte über einen Sandweg, was aber vielleicht auch ganz gut war. Die beiden Neuseeländer, Beeke und ich saßen nämlich hinten auf dem Bett des Vans, da dieser (wie jeder ausgebaute Camper) natürlich auch nur zwei Sitze hatte. So ganz legal war die Aktion vielleicht nicht, aber umso mehr erinnerungswürdig. Auf der Fahrt konnten wir uns so auch schon gut unterhalten und etwas austauschen. Unter anderem haben wir hier herausgefunden, dass das Studieren in Neuseeland etwa 20.000 NZD (etwa. 10.000€) pro Semester kostet! Die beiden meinten, dass sie mit ihrem Studium Schulden aufnehmen, die sie wohl die über die nächsten Jahrzehnte zurückzahlen müssen. Unvorstellbar, oder? Da sind wir schon echt froh, über das deutsche System des (fast) kostenlosen Studierens!

Um etwa acht Uhr morgens waren wir dann alle startbereit am Anfang des Tongariro Crossings. Ursprünglich hatten wir geplant, schon eine Stunde früher dort zu sein, aber aufgrund der wirklich kalten Temperaturen in den Morgenstunden bin ich ganz froh um unsere Entscheidung, das nicht zu tun. Vor dem Beginn konnten wir noch ein paar Schilder lesen, die über die Lawinengefahr und Schwierigkeit des Crossings aufklärten. Direkt dahinter ging es aber endlich los und uns begrüßte direkt diese Aussicht:

Der Schicksalsberg

Auf den ersten paar Kilometern der Strecke passierte nichts weiter Spannendes. Der Weg bestand aus einem ausgebauten Holzweg und ging kaum nach oben, wir hatten also viel Kapazität um uns zu unterhalten. Da wir neben einem Fluss längs liefen, haben wir zwischendurch gegoogelt ob man das Wasser von hier auch trinken kann. Zum Glück haben wir dies zuerst nachgeguckt, denn da die Gegend von vulkanischer Aktivität durchzogen ist, wäre das Wasser giftig. Naja. Schön war der Bach trotzdem und wurde auch nur noch besser, als die Landschaft langsam aber sicher immer vereister wurde. An den Rändern des Bachs bildeten sich Eiszapfen und kleine vereiste Bereiche. So richtig spektakulär wurde es auch schon kurze Zeit später, als wir eine kleine Extra-Tour zu einem Wasserfall gemacht haben. Dieser Wasserfall war zwar selbst noch nicht vereist, aber dafür haben wir dort Eiszapfen gefunden, die knapp einen Meter lang waren! Außerdem war an jedem einzelnen Grashalm etwas Eis dran, aber nicht so dass es aussehen würde wie eine Schneemasse, sondern nur wenn man genau hinguckt. Die Gegend war auf jeden Fall sehr schön zu erkunden, vor allem mit dem Gedanken, dass der nächste Teil der Wanderung eher unschön werden sollte.

Fast-gefrorener Wasserfall

Gleich nachdem wir wieder auf den richtigen Track zurückgekehrt waren erwarteten uns nämlich Treppen. Viele viele Treppen. Hier kamen also das erste Mal die etlichen Höhenmeter zum Vorschein, die wir noch vor uns hatten. Auf dem Weg trafen wir ein paar andere Wanderer, aber die meiste Zeit waren wir relativ alleine unterwegs. Das ist ein absolutes Privileg, wenn man bedenkt, dass in der Hochsaison (wenn kein Schnee liegt) etwa 700-800 Menschen am Tag über das Tongariro Crossing wandern! An dem Tag, an dem wir dort waren, waren es nicht einmal 100. Und das obwohl wir so fantastisches Wetter hatten!
Als wir die Treppen nach einiger Zeit absolviert hatten, bot sich uns aber auch gleich der Ausblick auf unsere Belohnung: Vor uns lag ein Krater, umrundet von drei Bergen, der komplett mit Schnee gefüllt war. Die Berge waren der Mount Tongariro selbst, dann der „Schicksalsberg“ aus „Herr der Ringe“ und zu guter letzt noch Mount Ruapehu. Die Berge sind zwischen 1.967m und 2.797m hoch, aber da wir natürlich auf keinen Gipfel wollten ging unser Weg auf maximal 1.886 Metern über dem Meeresspiegel hoch. Die Schneedecke im Krater war perfekt gerade, ohne einen einzigen Berg oder Baum, der im Krater stand. Alles war weiß und wirkte total surreal, als wäre man irgendwo in Nepal unterwegs.

Die erste große Eisfläche

Genau auf dieser Eisschicht im Krater führte daraufhin unser Weg längs. Durch die perfekt gerade Strecke hatten wir hier einen sehr einfachen Weg, vor allem weil der Schnee schon so vereist war, dass man wie auf einem leicht federnden Sandweg laufen konnte. Zwischendurch haben wir natürlich noch angehalten und einige Fotos gemacht, das konnten wir uns ja nicht entgehen lassen. Nach kurzer Zeit wurde es jedoch zu kalt und wir mussten wieder aufbrechen, diesmal wieder mit einigen Treppenstufen in Sicht. Zum Glück waren es diesmal aber nicht ganz so viele und wir konnten bald noch einmal Pause machen, diesmal um etwas zu Essen. Wir alle hatten etwas verschiedenes mit und so saßen wir dort, mit einer großartigen Aussicht, und hatten ein „Buffet“ aus Burgern, Wraps, Pizzabrötchen, Müsli-Riegeln, M&Ms und Keksen vor uns.

Mittagspause!

Bei einem Blick auf den nächsten Teil unseres Wegen konnten wir bereits erkennen, dass der verhasste Luxus der Treppenstufen nun enden würde. Zwar ging es weiterhin steil aufwärts, dafür aber über Sand und Stein. Nach dem Essen wurde mir auch schnell bewusst, dass weitere Treppenstufen definitiv das geringere Übel gewesen wären. Denn der Weg aus Stein und Sand war ganz schön rutschig, sodass man jeden Schritt sehr bewusst setzen musste. Noch unangenehmer wurde es dann, als sich langsam aber sicher auch noch ein Schicht aus Schnee und Eis auf unserem Weg formte, die natürlich noch ein gutes Stück rutschiger war als sowieso schon. Ab diesem Punkt habe ich mir wirklich gewünscht, wir hätten Steigeisen mitgebracht. Theoretisch hätte man diese auch bei einem einigermaßen nahegelegenen Geschäft ausleihen können, aber dafür war unsere Zeit nicht ausreichend gewesen.

Aufstieg zum höchsten Punkt

Beeke und ich haben zusammen einen großen Reiserucksack mitgenommen, da unsere Tagesrucksäcke nicht groß genug für alles war, was wir mitnehmen wollten. Diesen großen Rucksack haben wir dann etwa alle halbe Stunde getauscht, was eigentlich ein ganz angenehmes Prinzip für lange Wanderungen ist. Nur leider waren diese Kilos an Extragewicht auf dem Rücken nicht unbedingt hilfreich für die Stabilität bei den rutschigen Stellen der Wanderung. Vor allem ich fand es oft schwierig, voranzukommen, den anderen erging es da leichter. Zum Teil lag das sicherlich auch an meinen Schuhen, denn ich habe seit Reisebeginn nur ein einziges Paar Schuhe bei mir – diese halten auch noch, so wie sie aussehen aber nicht mehr lange. Mein größtes Problem war, dass meine Schuhspitze sehr weich ist und ich mich nicht ordentlich in den Schnee treten konnte. Auf der anderen Seite waren Beekes Schuhe in etwa genau so und mir erging es trotzdem schwerer, vielleicht lag es also auch einfach an fehlender Erfahrung und einem guten Maß an Ungeschicklichkeit. Ihr kriegt die Geschichte auf jeden Fall aus meiner Perspektive zu hören und unabhängig der Erfahrungen der anderen fand ich einige Passagen auf dem Alpin-Pass wirklich nicht einfach zu bewältigen.

Nach einiger Zeit war diese schwere Stelle aber überwunden. Die steilen Abhänge auf beiden Seiten des Weges waren nun weiter entfernt und wir befanden uns auf dem höchsten Punkt der Wanderung. Hier lag ein Aussichtspunkt mit einer Infotafel, die etwas Geschichte zu den Bergen darstellte. Auch hier konnten wir wieder etwas Pause machen und die Aussicht genießen, auch wenn der Wind uns wieder ein gutes Stück runter kühlte.

Aussicht vom „Gipfel“

Kurz nachdem wir wieder aufgebrochen waren, begegneten wir einem Inder, der am Wegesrand saß und uns auch direkt ansprach, als wir vorbeiliefen. Er erzählte uns, dass der nächste Teil des Weges so steil abwärts geht, dass es mit dem Schnee überhaupt nicht schaffbar sei. Er habe sogar ein Paar mit Steigeisen getroffen, die wieder umgedreht waren weil es für sie zu gefährlich aussah.
An diesem Punkt kam für mich das erste Mal die Überlegung auf, auch wieder umzudrehen. Die schwere Stelle lag zwar noch etwa einhundert Meter entfernt hinter einer Kurve, sodass wir sie nicht sehen konnten, aber nach den Berichten des Inders hatte ich definitiv ein mulmiges Gefühl. Die anderen vier Jungs aus unserer Gruppe wollten sich die Stelle wenigstens einmal angucken, vor allem weil der Weg dorthin zwar anstrengend, aber nicht gefährlich war. Man konnte also jederzeit gut umdrehen und zurück zum Anfangs-Parkplatz laufen. Beeke und ich kamen langsam nach, nachdem sie mich motivierte, wenigstens auch einmal nachzugucken. Der Weg an dieser Stelle bestand übrigens ausnahmslos aus gefrorenem Schnee. Solange schon Fußspuren vorhanden waren war es auch einfach, dem Weg zu folgen. An einigen Stellen war es jedoch so rutschig, dass man wirklich auf sich aufpassen musste.
Als wir gerade um die Kurve liefen, sahen wir auch direkt, was der Inder meinte. Vor uns lag ein relativ steiler Abhang, bedeckt mit Schnee und ganz unten… waren unsere Mitwanderer? Alle vier standen dort, mit erwartungsvollen Blicken zu uns, und warteten. Im ersten Moment war ich vor allem verwirrt, wie sie eine so steile und schwere Stelle so schnell überwunden hatten. Das klärte sich aber schnell auf, als Tobi zu uns hoch rief, dass sie einfach nach unten gerutscht wären. Tatsächlich lag dieser Abhang zwar immernoch sehr weit oben, aber die Abhänge an den Seiten waren etwas weiter entfernt. Außerdem ging es zu einer Seite nicht ganz so weit runter, so dass man den Fall mit etwas geschicktem Rutschen auf jeden Fall verletzungsfrei überstanden hätte.
Nachdem Beeke und ich noch einen anderen Wanderer trafen, der uns entgegen kam und uns erzählte, dass dies die mit Abstand schwierigste Stelle des ganzen Weges war, machten wir uns auch auf den Weg nach unten. Ich war zuerst dran und habe versucht, mich hinzuhocken und auf meinen Füßen zu rutschen, habe aber schnell mein Gleichgewicht verloren und mich hingesetzt. Wie früher auf den Porutschern ging es nun abwärts, genau auf die Jungs zu. Ich habe schnell festgestellt, dass Bremsen nun nicht mehr möglich war und mit meinen Füßen nur die Richtung bestimmt, in die die Fahrt gehen sollte. Nach etwa 70 Metern abwärts kam ich sicher und etwas schneebedeckt unten bei den anderen an und hatte die Stelle überstanden – und das sogar deutlich einfacher als befürchtet! Nun konnte ich Beeke zugucken, wie sie mir hinterher-rutschte und die Passage auch problemlos meisterte.

Von dort kommen wir & in der Ferne sieht man noch unsere Rutsch-Spuren

Nachdem es uns von dem einen Wanderer kurz zuvor zugesichert wurde, hätte man jetzt ja denken können, nach dieser Stelle wäre der Rest der Wanderung ganz problemlos, schnell und einfach, richtig? Naja, ganz so simpel kam es dann leider nicht.

Zuerst durften wir jedoch einen weiteren wirklich schönen Teil der Strecke bewundern. Wir befanden uns nämlich wieder auf einem riesigen, glatten Schnee- & Eisfeld. In der Ferne ging es wieder aufwärts und rechts von uns steil abwärts. Nahe der Kante befand sich ein See, den wir uns noch einmal genauer angesehen haben. Schon aus der Ferne konnten wir nämlich erkennen, dass die Farbe des Sees etwas besonders aussah. Obwohl die Oberfläche sich fast vollständig zugefroren zeigte, leuchtete der See in einer Farbe, die am ehesten einer Mischung aus Cyan-Türkis-Blau zu beschreiben war. Am Rand führte ein kleiner Bach den Berg hinunter, dessen Quelle unter der zugefrorenen Seedecke lag. Nur einige Meter weiter unten konnten wir sehen, dass der Fluss ins Eis und darunter in eine Höhle floss. Wo er wieder rauskam, konnte man nicht sehen. Die Stelle war auf jeden Fall toll zu erkunden und zeigte uns noch einmal, wie die Welt bei solchen Temperaturen aussehen kann. Wir konnten sogar beobachten, wie ein anderer Wanderer sich auf den zugefrorenen See stellte, um Fotos zu machen. Sonderlich schlau war das vielleicht nicht, aber das Eis hat ja gehalten.

Surreale Farben im See

Ein paar hundert Meter weiter, nachdem wir die große Eisfläche überquert hatten, näherten wir uns dem nächsten großen Hindernis. Dort, wo eigentlich der Wanderweg sein sollte, lag nämlich eine ziemlich steile Wand aus Eis. Diesmal waren leider keine Fußstapfen zu erkennen, sondern nur die Flaggen die die Richtung des Weges markierten. Bei den ersten Versuchen die Wand hochzugehen sind wir alle schnell wieder nach unten gerutscht. Daraufhin haben wir versucht, uns an den kleinen Steinvorsprüngen festzuhalten, die aus dem Eis ragten. Die beiden Neuseeländer sind dabei einem anderen Weg gefolgt als wir anderen, auch wenn man im Endeffekt sagen muss, dass beide Wege wohl gleich schwer gewesen sind. Wir haben uns nämlich an den kleinen Felsvorsprüngen, die mal in wenigen Zentimetern und mal in mehreren Metern Abstand vorkamen, festgehalten und immer weiter nach oben vorgearbeitet. Eigentlich ging der Weg zwar eher nach links, aber als wir eine gewisse Höhe erreicht hatten, konnten wir so von Stein zu Stein „springen“. Dabei lehnten wir jeweils seitwärts an der Wand und haben meist versucht, im Sprung den nächsten Vorsprung zu greifen und uns daran hochzuziehen. Hin und wieder ging es dabei natürlich auch wieder abwärts – sodass man den Weg von vorne beginnen durfte. Der Grund, wieso wir diesem Weg überhaupt weiter gefolgt sind, war für uns aber eindeutig: Es war komplett ungefährlich. Wären wir an bestimmten Sprüngen abgerutscht und hätten uns nicht festhalten können, hätten wir danach zwar ordentlich Schnee in der Kleidung gehabt, wären aber trotzdem sicher unten angekommen. Die Wand war steil genug, dass man nicht darauf gehen konnte, aber nicht so steil, dass man beim Rutschen unkontrollierbar schnell geworden wäre. Etwa 20-30 Meter weiter unten lag dann auch wieder die große Eisfläche, zu der der Wanderweg parallel ging.

Klettern je nach Beschaffenheit der Schuhe

Nach bestimmt 30 oder 40 Minuten hatten wir es endlich alle geschafft. Ich war zwar mal wieder der Langsamste, aber immerhin waren wir alle oben! Von hier an führte der Weg zwar weiter an der Wand längs, aber weder aufwärts noch war er so rutschig wie zuvor. Die Fußstapfen, die ich schon vermisst hatte, wurden langsam wieder eindeutiger. Außerdem konnte Tobi mit seinen Schuhen oft Löcher in den Schnee treten, da er Stahlkappen vorne eingenäht hatte. Langsam aber sicher ging es also weiter gerade aus, immer weiter in Richtung Ziel. Früher oder später fiel uns dann ein interessantes Detail auf: Abseits vom offiziellen Wanderweg gab es noch einen Weg, der weiter unten auf der Eisfläche längsführte. Dieser endete irgendwann wieder in dem offiziellen Weg und wir waren uns alle sicher, dass dieser andere Weg deutlich einfacher gewesen wäre. Hier hätte man die steile Steigung und die Rutschigkeit des Eises etwas umgehen können, aber wir hatten es ja trotzdem geschafft, alle sicher weiterzukommen.
An einem der Pfosten, die unseren Weg markierten, fand Clemente zwischendurch einen Eiszapfen – und zwar den größten Eiszapfen, den ich wohl je sehen werde:

Weltgrößter Eiszapfen? Auf jeden Fall Rekordverdächtig!

Kurz nachdem dieses Bild entstanden ist, führte der Weg eindeutig wieder aufs Tal zu. Zum ersten Mal sahen wir wieder Weg vor uns liegen, der nicht zugeschneit war. Auf den letzten paar hundert Metern galt zwar noch eine starke Lawinengefahr, da der Wanderweg genau an den gefährdeten Abschnitten den Berges längs führte, aber davon haben wir nichts mitbekommen. Unser Wetter war auch noch immer großartig, sodass wir uns am Ende des Schnees noch einmal hinsetzen und den restlichen Proviant aufessen konnten. Von hier aus hatten wir zwar noch immer einiges an Weg vor uns, aber diesen konnten wir deutlich schneller angehen, als alles was schon hinter uns lag.

Die letzten Meter im Schnee

Über sechs Kilometer führte der Weg noch durch verschiedene Szenerien – erst am Berg längs, gleich unterhalb des Schnees, dann durch eine sandige Gegend mit kleinen Brücken über Wasserfälle und Flüsse und später noch durch ein Waldgebiet. Hier fiel mal wieder auf, dass die Flora in Neuseeland doch ein gutes Stück anders ist als in Europa. Einen großen Anteil der Pflanzen in Neuseeland findet man ausschließlich hier und nirgendwo anders auf der Welt. Das haben wir auch beim Wandern bemerkt, da uns nur wenige Pflanzen wirklich bekannt vorkamen. Zwischendurch konnten wir über kleine Extra-Wege noch zu einem Wasserfall hinlaufen und die Landschaft etwas weiter bewundern, aber zugegebenermaßen waren wir irgendwann auch einfach etwas erschöpft. Die sechs Kilometer haben sich noch ganz schön gezogen, da sich der Wechsel von Schnee zu Sand & Kies schon fast wie das Ende angefühlt hatte. Da wir auf diesem Weg noch einmal etliche hundert Höhenmeter abwärts mussten, haben sich auch unsere Knie irgendwann beschwert und wir mussten ein wenig zurückfallen. Der Rest der Gruppe ging schon vor zum Parkplatz.

Nur noch 6 Kilometer so weiter…

Nach insgesamt fast zehn Stunden, 971 Höhenmetern und 21.91 Kilometern an Strecke erreichten auch Beeke und ich den Parkplatz, wo unser Auto noch brav auf uns wartete. Tobi war bereits mit den beiden Neuseeländern losgefahren um sie zu ihrem Auto zu bringen, da sie noch am gleichen Tag zurück nach Auckland fahren wollten. Wir haben dann Clemente eingesammelt, der auf dem Parkplatz wartete und sind mit ihm schonmal losgefahren, um uns mit Tobi auf der Hälfte der Strecke zu treffen. Nachdem wir uns auf Wiedersehen gesagt haben, ging es für uns beide nur noch zum nächsten Campingplatz. Da Tobi von hier aus weiter in Richtung Norden fuhr und es für uns in Richtung Süden ging, trennten sich hier unsere Wege endgültig.
Am Campingplatz angekommen haben wir noch Essen gegessen, das wir schon vorsorglich am Vortag gekauft hatten und sind daraufhin ins Bett gefallen. Dieser erfolgreiche und unglaublich eindrucksvolle Tag geht auf jeden Fall in die Highlights Neuseelands, wenn nicht sogar der ganzen Reise ein. Und auch wenn wir das Alpin Crossing vielleicht lieber mit Steigeisen angehen hätten sollen, hat ja im Endeffekt alles genau so funktioniert, wie erhofft. Der Tag war also ein voller Erfolg und hätte so gesehen nicht besser kommen können!

Tolle Aussicht im Lawinengebiet